Zwischen Politik und Eigeninitiative: Im Gespräch mit unserem neuen Aufsichtsratsmitglied Gunnar Harms

Einer für alle - alle für einen

Nachdem Ende letzten Jahres unsere Aufsichtsratsmitglieder Annette Littmann und Ingo Stadler ihr Amt aus persönlichen Gründen niedergelegt haben, wurde auf der letzten Generalversammlung neu gewählt. Seitdem unterstützen unsere Mitglieder Patrick Kopischke und Gunnar Harms die Arbeit des Aufsichtsrats.

Heute möchten wir euch einen von beiden genauer vorstellen. Die Rede ist von Gunnar Harms. Gunnar ist 64 Jahre alt und befindet sich im Vorruhestand. Fragt man ihn nach seiner momentanen Lebenssituation, bezeichnet er diesen allerdings eher als andauernden „Un“ruhestand. Seine neu gewonnene Freizeit nutzt er überwiegend dafür, sich unermüdlich für den Ausbau erneuerbarer Energien stark zu machen. Der Leverkusener ist Mitglied in zahlreichen Energiegenossenschaften, Vereinen und Arbeitsgemeinschaften, die sich alle für eine nachhaltigere und bessere Zukunft einsetzen. Sein energiepolitisches Engagement, sein Fachwissen und sein großes Netzwerk machen ihn zu einer Bereicherung für uns alle. Aus diesem Grund haben wir uns mit ihm zum Gespräch getroffen und über die neuesten politischen Entwicklungen und die Wirkungskraft von Bürgerenergiegenossenschaften gesprochen.

Lieber Gunnar, noch einmal offiziell: Herzlich Willkommen in unserem Aufsichtsrat. Wir freuen uns sehr, dass du uns jetzt noch aktiver unterstützt als bisher schon.

Danke, das freut mich zu hören. Ich freue mich auch sehr!

Neben deinem neuen Amt bei uns bist du zusätzlich noch im Vorstand der Bergischen Energiegenossenschaft Wuppertal (bbeg), Mitglied bei Green Planet Energy und in vielen weiteren Vereinen aktiv. Du bist demnach also gut vernetzt. Deswegen würden wir gerne von dir wissen: Wie schätzt du die aktuelle politische Lage auf dem Markt der erneuerbaren Energien ein? Was läuft gerade richtig gut und wo hakt es?

Es ist in den letzten Monaten und Jahren echt schon einiges passiert. Auch wenn es meiner Meinung nach noch viel mehr sein und vor allem schneller gehen könnte. Aber immerhin wurden schon einige politische „Bremsen“ gelöst. Zum Beispiel wird die Unabhängigkeit durch die Strom-Eigenversorgung enorm gestärkt. Durch die Abschaffung der eh schon sehr umstrittenen EEG-Umlage, einige steuerliche Erleichterungen für PV-Anlagen bis 30 kWp und die Erhöhung der Vergütungssätze sind wir schon einen guten Schritt in die richtige Richtung gegangen.

Und was könnte deiner Meinung nach schneller gehen?

Der Einfluss der politischen „Bremser“ ist weiterhin groß. Sie lassen einfach nicht locker, sind weiterhin sehr aktiv und versuchen, die Dezentralisierung und die bürgernahe Eigenversorgung so lange wie möglich hinauszuzögern. So steht der schon längst überfälligen Abschaffung der EEG-Umlage zum Beispiel immer noch eine nicht auskömmliche Einspeisevergütung für die Überschusseinspeisung gegenüber. Im Gegensatz zu Volleinspeisern lässt die echt zu wünschen übrig. Denn wenn man seinen Strom aus einer kleinen Anlage vollständig ins Netz einspeist, erhält man momentan 13 Cent pro kWh. Wenn man einen Teil des selbsterzeugten Stromes auch selbst nutzt, erhält man nur 8 Cent. Der Eigenverbrauch senkt die Vergütung also um sage und schreibe 5 Cent und das nur, weil man seinen selbstproduzierten Strom auch selbst nutzen möchte. Das finde ich unfair.

Dann werden Privatleute demnach „bestraft“, weil sie unabhängig von großen Energiekonzernen sein wollen?

Genau. Kurz zusammengefasst bedeutet das nämlich, dass private Solaranlagenbesitzer:innen, die ihren Strom zum Teil auch selbst nutzen, weit weniger Geld für die Überschusseinspeisung ins öffentliche Netz bekommen als diejenigen, die ihren Strom komplett einspeisen, wie zum Beispiel die Eigentümer:innen großer Dachflächen, die den Strom nicht selber nutzen können oder wollen.

Und woran liegt das? Mit welchem Ziel wird hier „gebremst“ oder nicht ausreichend agiert?

Man muss sich klarmachen, dass jede PV-Anlage in und aus Bürgerhand ein Sargnagel für die Kohle- und Gaskraftwerke ist. Um das möglichst im Zaum zu halten, hat die fossile Lobby der Politik in den damaligen Verbandsanhörungen gesplittete Einspeisetarife untergejubelt. Wenn ihr mich fragt, ein klarer Diskriminierungstatbestand. Aber wir befinden uns in einer Zeit, in der wir nicht als „Opfer“ einfach zusehen müssen, wie die Markt und Politik beherrschenden „Großen“ der alten Energiewirtschaft, mit überkomplexen Regularien und rechtlich fragwürdigen Methoden immer wieder versuchen, die innovativen dezentralen „Kleinen“ auszubremsen. Das heißt für uns: Kreative Gestaltungsmöglichkeiten entwickeln und nutzen. Und genau dafür gibt es heute Bürgerenergiegenossenschaften, Vereine und zahlreiche Initiativen, die sich das nicht mehr gefallen lassen. Ich bin Teil vieler und sehr stolz darauf, was wir dort gemeinsam alles bewirken und auf die Beine stellen.

Aber neben dem privaten Engagement der Bürgerinnen und Bürger gibt es ja auch Hoffnung. Was für, deiner Meinung nach, gute Entscheidungen wurden den kürzlich beschlossen?

Das sind sehr viele und die ändern sich auch regelmäßig. Um den Rahmen nicht komplett zu sprengen, würde ich mich an dieser Stelle auf die meiner Meinung nach spannendsten beschränken. Denn auch wenn wir gesplittete Einspeisetarife haben, können Menschen, die Interesse an privaten PV-Anlagen haben, mittlerweile einiges mehr erreichen.

Weniger Abstand – mehr Solarmodule:

Zum Beispiel wurden die Abstandsregeln für die einzelnen Solarmodule auf Privatdächern von 1,5 Meter auf 0,5 Meter verkürzt. In Abhängigkeit von der Größe der Anlage bedeutet das, dass die Leute jetzt zum Teil erheblich mehr Module auf ihren Dächern anbringen können. Das ermöglicht mehr eigene Stromproduktion und somit noch mehr Einsparung von CO2-Emissionen. Gilt bis jetzt allerdings erst für Bayern und NRW, aber immerhin.

Zuschüsse auch für Privatpersonen möglich

Außerdem sind seit Neustem auch Photovoltaik-Ausschreibungen für den Eigenverbrauch zugelassen. Früher war das nur Volleinspeisern möglich. Bedeutet, ab jetzt können auch Eigenversorger, wenn sie schon weniger Einspeisevergütung erhalten, an Ausschreibungen teilnehmen, um Zuschläge von der Bundesnetzagentur zu erhalten.

Garten-PV wird erlaubt

Seit dem 01. Januar 2023 wird auch die Installation von sogenannten „Garten-PV“ erlaubt. So kann man mit einer Anlagengröße von maximal 20 kW auch eine Förderung für eine PV-Anlage im Garten erhalten. Und wo wir gerade bei neuen Arten zur Installation von PV-Anlagen sind: Bald können wir uns auch auf neue Kategorien wie Agri-PV (auf Ackern), Parkplatz-PV und Floating-PV (auf dem Wasser) freuen. Und für entwässerte landwirtschaftliche Flächen auf ehemaligen Moorböden gibt es bald auch die sogenannten Moor-PV. Diese Neuheiten gelten zwar erst einmal nur für sogenannte „benachteiligte Gebiete“, aber meiner Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung.

Neue Möglichkeit: PV-Modul im Garten

Steuererleichterungen

Auch in Bezug auf die verschiedene Steuersätze hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Das ist natürlich vor allem deswegen wichtig, weil es nicht nur die Bürokratie erleichtert, sondern zusätzlich auch bares Geld spart. 

  • PV-Anlagen auf Einfamilienhäusern und Gewerbeimmobilien (bis 30 kWp), sowie auf sonstigen Gebäuden (bis 15 kWp je Wohnung oder Geschäftseinheit) werden rückwirkend bis zum 01.01.2022 von der Einkommensteuer befreit. Alle neu geplanten natürlich sowieso.
  • Die Umsatzsteuer für die Lieferung und Installation von PV-Anlagen auf oder in der Nähe von Wohnungen sowie öffentlichen und anderen Gebäuden, die dem Gemeinwohl dienen, entfällt komplett.
  • Außerdem dürfen Lohnsteuerhilfevereine jetzt auch Betreiber:innen kleiner PV-Anlagen beraten. Das war bisher grundsätzlich nicht zulässig.

Man sieht also: Es ist schon allerhand geschehen und auch noch einiges in der „Pipeline“.

Und wenn man sich selbst jetzt keine eigene PV-Anlage kaufen kann: Was können – abseits oder ergänzend zur „großen Politik“ – die Mitglieder der Energiegewinner eG tun?

Die Energiegewinner als der zentrale Akteur der dezentralen Energiewende in der Region spielt dabei eine herausragende Rolle. Dazu müssen wir uns noch mehr als bisher auf unserer strategischen Kernthemen fokussieren und uns jeden Tag fragen: Was hindert uns? Was bringt uns voran?

Und das wäre?

Diese Frage kann ich allein nicht beantworten. Sie ist auch mehr als Denkanstoß gedacht. Ich denke, jedes Mitglied kann sich die Frage für sich selbst stellen. In meiner Funktion als Aufsichtsrat kann ich sagen, dass wir eine noch breitere Mitgliederbasis benötigen, um die Wahrnehmung in der Region zu verbessern und eine höhere Sichtbarkeit zu erreichen. Außerdem tragen natürlich auch neue PV-Anlagen zur dezentralen, erneuerbaren Energieversorgung bei – wozu wir wiederum entsprechende Mittel, beziehungsweise Geld, brauchen.

Unser Aufsichtsrat: v.l. Patrick Kopischke, Dirk Zurek, Katharina Schwartz und Gunnar Harms. Nicht auf dem Foto ist unser Aufsichtsratsvorsitzender Daniel Lack.

Also zusammengefasst: Mehr Mitglieder = Mehr Geld

Genau. Dieses Geld kommt unter anderem auch durch die Zeichnung von neuen Genossenschaftsanteilen zu Stande. Entweder durch neue Mitglieder oder durch eine Aufstockung der Anteile von Bestandmitgliedern. Sie stärken unser Eigenkapital, also das Geld, was wir zur Verfügung haben. Und je mehr Eigenkapital wir haben, desto unabhängiger und demokratischer können wir agieren, weil wir so immer weniger auf externe Finanzierungshilfen angewiesen sind. Außerdem gibt es bei den Energiegewinnern ja zusätzlich die Möglichkeit, sich mit der Zeichnung verschiedener Darlehen oder dem Erwerb eines eigenen Solarmoduls finanziell zu beteiligen. Und das ganz unabhängig davon, ob man selbst eine PV-Anlage hat. Eine Unterstützung ist bei uns eben auf vielen verschiedenen Wegen möglich. Aber egal wie, grundsätzlich gilt: Ohne Kohle kein Abschied von der Kohle. Fakt ist: Unsere Mitglieder stärken mit ihren Anteilen die Genossenschaft und investieren zeitgleich in den nachhaltigen Schutz der Umwelt und des Klimas – und damit in das Wohlergehen ihrer Kinder und Enkel. Und das ist ein super Konzept und ich bin sehr stolz darauf, Teil davon zu sein.

Danke, das sind wir auch. Gunnar, vielen Dank für deine Zeit und dafür, dass du dein Wissen mit uns geteilt hast.

Sehr gerne.

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Die Energiegewinner ziehen heute ins neue Büro. Aufgrund dessen bleibt das Telefon unbesetzt und auch das Beantworten von E-Mails kann sich verzögern. Wir bitten um euer Verständnis.